Wie GIB ZEIT entstand 
- zum 10-jährigen Bestehen von GIB ZEIT am 08.05.2008


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Im Jahr 1996 nahmen Liane Boy und Ralf Kirchhoff (beide gl) das bevorstehende Ende ihres Studiums an der Fachhochschule Düsseldorf zum Anlass, in der Zeitschrift „Hörgeschädigte Kinder“ ihre Eindrücke über die Schul- und Studienzeit darzustellen. Sie schrieben auch, dass Gebärdensprachkurse auf großes Interesse bei ihren Kommilitonen gestoßen waren.

In einem Nachtrag von Uwe v. Stosch (hd) erklärten sich beide bereit, auch eigens für Eltern gehörloser Kinder einen solchen Kurs einzurichten.

Im Januar 1997 besuchten Liane, Ralf und Uwe zum ersten Mal die Mutter eines gehörlosen Kindes, die sich als einzige aufgrund dieses Artikels gemeldet hatte. Diese Familie kannte noch eine Familie und diese wiederum eine andere, und so vergrößerte sich langsam der Kreis der Familien. Allerdings kam ein angedachter Elternkurs zunächst nicht in Frage, da die Familien an teilweise weit voneinander entfernten Orten wohnten und weil teilweise noch Unsicherheiten bei den Eltern vorherrschten, ob die Gebärdensprache für das Kind wirklich hilfreich seien. Unabhängig von diesen Hindernissen blieb der Kontakt aber bestehen.

Im September 1997 äußerte schließlich eine dieser Familien den Wunsch, dass jemand von uns einmal in der Woche ihr gehörloses, bereits 10jähriges Kind besuche und dass die ganze Familie die Gebärdensprache erlerne. Barbara Mekhneche (gl) besuchte (beim ersten Mal mit Uwe) die Familie und ein regelmäßiger Besuch wurde vereinbart. Nur wenige Monate später berichteten die Eltern von den positiven Auswirkungen dieser Besuche und sagten: „Für unsere Tochter gibt es endlich einen Tag, wo sie im Mittelpunkt steht, und sie freut sich die ganze Woche auf diesen Tag.“ (Der Kontakt ist bis heute geblieben)

Ende 1997 lernten wir Claudia Schmidt und Susanne Klinner (beide gl) kennen, die ebenfalls schon gute Erfahrungen in der Begleitung von Familien gesammelt hatten. Claudia berichtete, sie habe bei ihren Besuchen jedes Mal das Gefühl, es werde ihr ein roter Teppich ausgelegt.

So positiv diese Entwicklung zu sein schien, wir sahen im Kontrast zu diesen und anderen guten und aufbauenden Begegnungen mit den Familien immer wieder erschreckende und oft sprachlos machende Berichte und Aussagen von verschiedenen Fachleuten aus den Jahren 1996 und 1997 zur Gehörlosigkeit und zur Gebärdensprache.

„Sprache ohne Hören ist grundsätzlich nicht denkbar. Erst das Sprechen- und Verstehen Können macht aus dem zweibeinigen biologischen Wesen den Menschen.“ So hieß es zum Beispiel im Vorwort zu einem Hörgeräte-Ratgeber, Verfasser war der damalige erste Vorsitzende des Deutschen Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. Die Gebärdensprache ersticke den Willen, spontan zu sprechen, hieß es woanders, und durch den CI–Einsatz gehöre die Gebärdensprache fortan der Vergangenheit an. Auf einem internationalen Kongress der Eltern in Neapel sagte ein Arzt: „Die Gehörlosengemeinschaft muss so schnell wie möglich aus dem Gesichtsfeld des Zusammenlebens verschwinden.“

Aussagen wie diese machten uns betroffen und wütend, doch sie stärkten auch unseren Willen und unser Anliegen, dazu beizutragen, dass Gehörlose auch weiterhin im Gesichtsfeld des Zusammenlebens bleiben und ihre reichhaltigen und vielfältigen Erfahrungen einbringen können. Doch wir suchten auch immer das Gespräch mit Eltern, denn wir wollten auch aus ihren Erfahrungen lernen. Im Dezember 1997 verschickten wir eine „Weihnachtspost“ an die uns bekannten Familien und im März 1998 dann eine „Osterpost“ mit Beiträgen von Gehörlosen und von Eltern aus Deutschland und aus aller Welt. Hier antwortete Winny Stenner (gl) unter anderem dem oben zitierten ersten Vorsitzenden des Berufsverbandes der HNO-Ärzte.

"Ich werde mich also an den Gedanken gewöhnen müssen, kein Mensch (mehr) zu sein. Ich höre nicht. Zwar kann ich immer noch sehen, fühlen, riechen, schmecken, mir den Kopf zerbrechen, Kolumnen schreiben, mich mit Wissenschaftlern wie dem dort oben streiten, aber das zählt alles nicht. Jemand wie ich ist kein Mensch, basta. Noch fällt es mir etwas schwer, die aus wissenschaftlicher Erkenntnis resultierende bittere Wahrheit zu akzeptieren, gaukelt mir doch jeder Spiegel ein durchaus menschliches Wesen vor. Doch wer würde wagen, dem Urteil eines wissenschaftlich und politisch so einflussreichen Halbgottes in Weiß zu widersprechen?“

Wir bekamen Mut machende Rückmeldungen, unter anderem von Peter Donath, Vater eines bereits erwachsenen gehörlosen Sohnes und damals Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen e.V. Er schrieb uns: „Wir haben alles bis zur letzten Seite gelesen und fanden uns in so vielem bestätigt. Daher scheint es mir wichtig, dass diese wertvollen Gedanken und Ihre Arbeit einem größeren Kreis zugänglich gemacht werden.“

Dieser Aufforderung mussten und wollten wir auch gern folgen. Liane, Ralf, Barbara, Susanne, Claudia und Uwe - wir alle suchten im April 1998 nach einem möglichen Namen für eine Initiative, die unser Anliegen fördern und unsere Vision eines Miteinanders von gehörlosen und hörenden Menschen institutionalisieren sollte.

Aus vielen Überlegungen kristallisierte sich am 08.05.1998 der Name heraus:

GIB ZEIT, Gemeinsame Initiative Begegnung, Zukunftsplanung durch Erfahrungs- und Informationsaustausch mit Teilnahme Gehörloser.

Dieser Name brachte zwei Dinge zum Ausdruck, die uns wichtig erschienen: Einmal ist da das Ermöglichen einer Begegnung zwischen Eltern und gehörlosen Erwachsenen. Doch GIB ZEIT sollte und soll auch ausdrücken, dass den Kindern und ihren Eltern immer genügend Zeit und Ruhe auf den von ihnen gewählten Wegen bleibt und sie nicht (auch noch von uns) unter Druck gesetzt werden. Das war bei der Gründung von GIB ZEIT so und das ist heute nicht anders.

Kurze Zeit nach der Namensfindung fuhren wir vom 21. bis 24.05.1998 zu der Jahresversammlung des Bundeselternverbandes gehörloser Kinder nach Immenreuth und Liane hielt dort einen Vortrag über die Idee der Gründung einer Initiative GIB ZEIT. Wir bekamen viel Zuspruch von den dort anwesenden Familien.

Zehn Jahre sind seit dieser Zeit vergangen. Zehn Jahre mit viel Freude, vielen fruchtbaren Begegnungen, vielen Synergien – aber auch mit manchen Schwierigkeiten, mit Stolpersteinen auf unserem Weg, mit Unsicherheiten und Zukunftszweifeln. Doch es gibt uns noch immer und an unserer Vision, die GIB ZEIT zur Welt und auf den Weg gebracht hat, hat sich nichts geändert. Wir wollen und werden auch weiterhin dafür sorgen, dass gehörlose Menschen, Kinder und Erwachsene, wie auch ihre Eltern stets einen Platz in unserer Gesellschaft haben werden. Weil wir alle Menschen sind.

                                                                             Impressum: GIB ZEIT e.V., Kerckhoffstr. 127, 45144 Essen, E-mail: uwe.stosch (at) gibzeit.de                                                                                                                                              © GIB ZEIT  1997-2017,  Alle Rechte vorbehalten