Warum ärgerlich sein?, Oktober 2002

Mark Drolsbaugh, im Dezember 2001

Immer mal wieder tauche ich abends irgendwo als Gastredner auf. Und jedes Mal, wenn ich das mache, ist eines immer gewiß: mindestens eine Person stellt eine Frage, die dir Kopfzerbrechen bereitet und ein "hmmmmm" für die nächsten zwei oder drei Tage ist die Folge.

Die letzte harte Nuß war die Frage einer Studentin einer lokalen Universität. Ich hatte gerade eine humorvolle Zusammenstellung von heiklen Situationen, Verdrehungen und Mißgriffen zum Besten gegeben, die sich in deinem Leben ereignen, wenn du gehörlos aufwächst. Momente, die dich in Verlegenheit bringen, Kommunikationspannen, Hilfsgeräte, die ins Wasser fallen, und so weiter.

Die meisten Anwesenden kicherten, aber eine Frau hob ihren Arm und wollte wissen: "Sie sind in einer Welt aufgewachsen, in der Sie wenige Menschen verstanden haben. Warum sind Sie nicht ärgerlich?" Hm, ich weiß es nicht. Die Frau zwang mich mitten auf dem Podium zu einer Psychoanalyse. Ich stand dort wie ein Trottel, völlig sprachlos.

Schließlich gab ich eine Antwort, eine gefühlvolle Antwort, die Oprah Winfrey stolz gemacht hätte. Leben ist einfach zu kurz und zu wertvoll, als dass es mit Ärger verschwendet werden sollte. Was soll daran gut sein, wenn man herumgeht und zornig auf die Welt ist? Es ist schädlich, sowohl körperlich als auch für die Seele. Geh hinaus und freue dich des Lebens, das ist alles, was man tun kann. Und wenn du über dich selbst lachen kannst, umso besser. Sehr oft kannst du nicht mehr tun als deinen Kopf schütteln und lachen.

Aber ... es gibt noch mehr dazu zu sagen. Ja, klar, es ist gesund, glücklich zu sein. Aber gleichzeitig sind wir Menschen - es wird Tage geben, wo wir nach Hause kommen und am liebsten einen Abfalleimer umstoßen würden. Das kommt vor. Es ist wichtig, zu wissen, wann und wo man seinem Ärger wirkungsvoll freien Lauf lassen kann. Wenn ich Ärger haben sollte, dann werde ich den nicht auf der Bühne vor hundert Menschen rauslassen.

Vielleicht denke das nur ich so, aber ich glaube, wir sollten vorsichtig sein, wie wir anderen unsere Frustrationen mitteilen. Es ist okay, deine schweren Belastungen und deinen Kummer kundzutun, aber mache das so, dass jeder daraus lernen kann. Sich ereifern und toben, das wird Menschen nur vertreiben. Persönlich habe ich immer die Philosophie von Martin Luther King Jr. und von Gandhi bewundert - sie hatten genügend Gründe, ärgerlich zu sein, gewannen aber durch friedliche, gewaltfreie Äußerungen ihrer Anliegen Millionen von Menschen.

Nicht zuletzt kommt immer jemand auf das Thema von hörenden Eltern, die nicht die Bedürfnisse ihrer gehörlosen Kinder verstehen, und unnötige Mühsal verursachen, indem sie zu viele falsche Entscheidungen treffen. Wißt ihr was? ALLE Eltern treffen falsche Entscheidungen.

An dem Tag, als mein Sohn geboren wurde, war meine erste falsche Entscheidung, meiner Frau zu sagen, er würde wie eine Eidechse aussehen. Die nächste falsche Entscheidung folgte auf den Fuß: "Wo ist die Bedienungsanleitung?" Es gab sie nicht. Glaubt mir, ich habe seitdem viele, viele falsche Entscheidungen getroffen.

Ob es sich nun um eine gehörlose Familie oder eine hörende Familie handelt, das spielt keine Rolle. In jedem Fall werden viele Fehler gemacht, so ist das Leben. Wichtig ist nur, die Liebe hinter den Fehlern zu sehen - Menschen versuchen einfach nur das zu tun, was sie glauben, dass es richtig ist, sie tun das Beste was sie können, mit allen Mitteln, die sie haben. Wenn man das einsieht, ist es schwer, ärgerlich über irgend etwas zu bleiben.

(aus dem Englischen übersetzt von Uwe v. Stosch)

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